Die Tierstile von der germanischen Eisenzeit bis zur Wikingerzeit
Über den Tierstil von der germanischen Eisenzeit bis zur Zeit der Wikinger.
Mit "Germanischer Tierstil" wird in der Stilgeschichte und in der Archäologie eine berühmte Kunstrichtung aus dem frühen Mittelalter bezeichnet, die in weiten Teilen Skandinaviens verbreitet war.
Charakteristisch ist hierbei die Darstellung stilisierter und in sich verschlungener Körper von Tieren und Menschen, wobei die Leiber häufig komplett in Einzelformen zerlegt wurden, so dass das eigentliche Grundmotiv oftmals bis hin zur Unkenntlichkeit abgewandelt wurde.
Nydamstil
Der Nydamstil, benannt nach dem berühmten Fund des Nydam-Schiffes in Norddeutschland, bildete sich am Ende der Völkerwanderungszeit im frühen 5. Jahrhundert unter dem starkem Einfluss der provinzialrömischen Metallkunst heraus.
Prägend für den Nydamstil sind die mit floralem und geometrischem Dekor verzierten Flächen, die mit Ranken, Palmetten und Mäandern gestaltet waren, wobei sich an den Rändern in der Regel Tierfiguren befanden.
Tierstil I
Der Tierstil I entstand vermutlich Ende des 5. Jhdt. im westlichen Skandinavien durch Einflüsse keltischer und römischer Kunst sowie durch Motive der asiatischen Steppenvölker und breitete sich von dort rasch nach Mitteleuropa, besonders nach England, dem Rheinland und nach Süddeutschland aus.
Die Tierfiguren sind hierbei naturalistisch dargestellt und klar separiert. Häufig finden sich auf den Darstellungen Vierfüßler und Seetiere in kauernder Haltung an den Rändern der verzierten Objekte.
Im Gegensatz zum Nydam-Stil finden sich diese Tiere jedoch nun als dominierende Elemente auf den Flächen wieder und werden durch Umrandungen zusätzlich hervorgehoben.
Im Süden, besonders bei den in Oberitalien ansässigen Langobarden, werden die Tierkörper hingegen mit mehreren parallelen Bändern dargestellt, oder es wurden verschlungene Knotenmuster in Flechtbandornamentik verwendet.
Im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts, der sogenannten Vendelzeit, wurde der Tierstil I in Skandinavien vom Tierstil II abgelöst.
Tierstil II
Der Tierstil II datiert von Ende des 6. bis ca. Mitte des 8. Jh. n. Chr. und stellt gewissermaßen eine Verschmelzung des Tierstils I aus dem Norden mit der Flechtbandornamentik aus dem Süden dar.
Die starken Ähnlichkeiten der Bildmotive und die rasche Ausbreitung des Tierstils II von Skandinavien nach England und über Deutschland bis nach Italien sprechen für einen regen Kontakt vermutlich wandernder Handwerker und die gegenseitige Beeinflussung der Kulturen jener Zeit.
Unterschieden wird im Tierstil II zwischen der reinen Tierornamentik, bei welcher die Tiere den Vordergrund der Abbildung dominieren und der Körper deutlich mit Kopf, Leib und Füßen dargestellt wird, und den Flechtbandmotiven, bei denen nur die Köpfe an ein Knotenwerk angesetzt sind und dem Flechtbandmuster völlig untergeordnet wurden.
Die Tiere sind hierbei stark abstrahiert und kaum noch als solche zu erkennen, wobei die einzelnen Tiere komplex ineinander verschlungen und verflochten sind.
Tierstil III
Der Tierstil III ist prägend für die Zeit von 550 - 800 n.Chr. und wird nach seinem bei Uppsala in Schweden gelegenen Fundort Vendel auch als Vendel-Stil bezeichnet. Er findet sich hauptsächlich auf Fibeln und Metallbeschlägen wieder.
Im Tierstil III wurden die ursprünglichen Tierformen durch angelsächsische Einflüsse mit Rankenwerken ergänzt und in kurvenreich ineinander verschlungene Muster aufgelöst.
Der Vendel-Stil stellt das Endprodukt einer jahrhundertealten germanischen Kunstform dar. Aus ihm entwickelte sich Anfang des 9. Jahrhunderts schließlich der wikinger-zeitlichen Greiftierstil.
Die Tierstile der Wikinger-Zeit
Als sich in Skandinavien nach der Vendelzeit ab 800 n. Chr. die Wikingerzeit herausbildete, entwickelten sich in Nordeuropa mehrere eigenständige Stilrichtungen:
Oseberg / Broastil - ca. 750 bis 840
Berdalstil - ca. 810 bis 840
Borrestil - ca. 835 bis 970
Jellingstil - ca. 880 bis 1000
Mammenstil - ca. 950 bis 1060
Ringerikstil ca. 980 bis 1080
Urnesstil - ca. 1035 bis 1150
Oseberg- / Broalstil - ca. 750 bis 840
Der Oseberg-Stil, der auch als 1. Greiftierstil bekannt ist, bildete sich vom 8. bis 9. Jahrhundert heraus und stellt den ersten, eigenen wikinger-zeitlichen Kunststil dar.
Er findet sich an Gebrauchsgegenständen aus Holz und Metall sowie an Schmuckstücken aus der Wikinger-Zeit
Berühmt ist hier zum Beispiel das Frauengrab in Oseberg im norwegischen Vestfold, wo sich kleinwüchsige Tiere zu flächendeckenden Mustern zusammengestellt finden.
Der Oseberg-Stil besteht hauptsächlich aus stilisierten Tierdarstellungen, wie sie aus dem vorhergehenden Tierstil III bekannt sind, die jedoch durch das Motiv des Greiftiers ergänzt werden. Die Tierfiguren sind hier meist zu langen, bandförmigen, ineinander verschlungenen Figuren auseinandergezogen.
Mit dem im Oseberg-Stil erstmalig auftretenden Greiftier entstand eine Figur, deren Körperpartien man jederzeit so anordnen konnte, dass sie alle erdenklichen Formen harmonisch auszufüllen vermochte.
Berdalstil - ca. 810 bis 840
Gleichzeitig mit dem Oseberg-Stil entstand der Berdal-Stil, benannt nach dem gleichnamigen Hauptfundort in Westnorwegen, der zwischen 800 bis 850 besonders in Jütland und Norwegen verbreitet war. Der Berdal-Stil zeichnet sich durch die Darstellungen von Tieren mit überproportionalen Köpfen, Glotzaugen und segmentierten Körpern aus. Hierbei wurde das Greiftier meist halb plastisch und von vorne dargestellt wird, wobei Vorder- und Hinterleib sowie Tatzen oder Klauen stark betont wurden und letztere häufig die Rahmenteile oder andere Tiere der Darstellung umfassen.
Borrestil - ca. 835 bis 970
Der Borre-Stil nach dem Grabfund von Borre in Vestfold, Norwegen benannt, der vom 9. bis 10. Jahrhundert datiert, stellt die zweite Phase des Greiftierstils dar und war insbesondere im östlichen Skandinavien verbreitet. Der Borre-Stil zeichnet sich durch spiegelsymmetrische Motive, besonders durch Kreis und Quadrat aus, was in der Flechtbandornamentik sehr gut zum Ausdruck kommt. Charakteristisch sind hier Ringketten und Brezelknoten, wobei Fabeltiere häufig mit geometrischen Knotenwerken verbunden sind. Der Borre-Stil wurde Ende des 10. Jahrhunderts vom Jelling-Stil abgelöst.
Jellingstil - ca. 880 bis 1000
Der Jelling-Stil entstand in der zweiten Hälfte des 10. Jh. am dänischen Königshof in Jelling in Jütland. Seine Charakteristik sind Band- und S-förmige Tierdarstellungen.
Der Jellinge-Stil findet sich an hölzernen, metallenen und steinernen Gebrauchsgegenständen, Schmuckstücken und Runenkreuzen der Wikinger-Zeit. Der Jelling-Stil entstand durch den in der Wikinger-Zeit verstärkten Kontakt der Skandinavier mit der angelsächsischen Welt, wo schlanke, langgestreckte Tierfiguren in der Kunst verwendet wurden. Durch diese Einflüsse wurde nun das in den wikinger-zeitlichen Kunststilen vorherrschende Greiftier als wichtigstes Motiv abgelöst und durch im Profil dargestellte bandförmige Tierfiguren ersetzt, die besonders schmal und langgestreckt dargestellt wurden, und die zudem mit Schenkelspiralen und gewundene Zöpfen im Nacken versehen waren.
Mammenstil - ca. 950 bis 1060
Der Mammenstil datiert in das frühe 11. Jahrhundert und ist berühmt durch die Prunk-Axt von Mammen in Dänemark, wobei die gestalterische Innovation die isolierte Darstellung einzelner Motive ausmacht. Der Mammen-Stil findet sich an prunkvollen Gebrauchsgegenständen aus Metall, an Schmuck und Schnitzarbeiten aus Horn ebenso, wie an Bildsteinen der Wikinger-Zeit.
Der Mammen-Stil legt im Gegensatz zu den früheren Tierstilen der Wikinger nicht mehr nur Wert auf Figuren, denn erstmals werden aufgrund der Verschmelzung von Akanthus- und Weinranken-Motiven westeuropäischer Vorbilder im Mammen-Stil auch Pflanzenmuster in der Kunst der Wikinger verwendet.
Der Mammen-Stil wird häufig auch als vornehmer Kunststil angesehen, da er in der Regel nicht auf der Masseneerzeugnissen auftritt, die es in der Wikinger-Zeit auch schon gab, sondern sich überwiegend auf kostbarem Einzelstücken wiederfindet.
Der Ringerikstil ca. 980 bis 1080
Der Ringerike-Stil vom 10. bis 11. Jahrhundert war besonders in Dänemark verbreitet und wird auch als Runenstein-Stil bezeichnet, da er hier oft Verwendung fand. Er findet sich aber auch an metallenen und hölzernen Schnitzarbeiten, Schmuckstücken und Waffen. Benannt ist der Ringerike-Stil nach der norwegischen Landschaft Ringerike, wo sich viele Runensteine in dieser Stilart finden.
Der Ringerike-Stil ist eine Weiterentwicklung des Mammen-Stils und basiert auf Einflüssen der ottonischen und angelsächsischen Buchmalerei, wobei die Betonung der floralen Rankenmuster noch mehr an Gewicht gegenüber dem Hauptmotiv gewinnt. Da die angelsächsische Buchmalerei traditionell ebenfalls Rankenmuster verwendete, ließ sie sich recht einfach mit dem Ringerike-Stil kombinieren.
Die Entstehung des Ringerike-Stils fällt mit der Christianisierung Skandinaviens und Islands zusammen, weshalb zu der Ausbreitung dieser Stilrichtung vermutlich die sich etablierende christlichen Kirche mit beigetragen hatte.
Der Urnesstil - ca. 1035 bis 1150
Der Urnes-Stil ist die letzte nordische Stilphase und war vom 11. bis 12. Jahrhundert verbreitet. Der Name stammt von einer wikinger-zeitlichen Stabkirche im norwegischen Urnes, bei der stilisierte, ineinander verschlungene, feingliedrige Vierbeiner, Schlangen und bandförmige Tiere in das Holz geschnitzt sind. Hier tritt auch zum ersten Mal die Darstellung des geflügelten Drachen in Skandinavien auf, vermutlich nach angelsächsischen Vorbildern. Typisch für den Urnes-Stil sind ein kräftig gezeichneter Korpus mit schlank auslaufenden Köpfen und Füßen, umschlungen von mehreren ineinander greifenden Linien und Schlaufen.
Literaturhinweise
Hans Hollaender: Kunst des fruehen Mittelalters, Pawlak, Herrsching 1981, ISBN 3-88199-040-2
Torsten Capelle: Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-02509-1
Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere - Menschen - Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-86309-8 (zur zeitlichen Einordnung hölzerner Funde und Dauer einzelner Kunststile)
Bernhard Salin: Die altgermanische Thierornamentik. Neue Auflage 1981. Fourier Verlag GmbH, Wiesbaden, Reprint d. Orig.-Ausg. 1935, ISBN 3-921695-60-0 (Darstellung der Entwicklung der germanischen Tierornamentik und Einteilung in die Stile I, II und III)
Haakon Shetelig: Vestfoldskolen. Osebergfundet III. Kristiania 1920 (wissenschaftliche Bearbeitung der Osebergfunde)
A. G. Smith: Viking Designs. Dover Publications Inc., Mineola 1999, ISBN 0-486-40469-2 (zahlreiche ungeordnete Zeichnungen verschiedener wikingerzeitlicher Stile
Verfasst von Peer Carstens, Dippoldiswalde 2010
Bildnachweis: Wikipedia
Mit "Germanischer Tierstil" wird in der Stilgeschichte und in der Archäologie eine berühmte Kunstrichtung aus dem frühen Mittelalter bezeichnet, die in weiten Teilen Skandinaviens verbreitet war.
Charakteristisch ist hierbei die Darstellung stilisierter und in sich verschlungener Körper von Tieren und Menschen, wobei die Leiber häufig komplett in Einzelformen zerlegt wurden, so dass das eigentliche Grundmotiv oftmals bis hin zur Unkenntlichkeit abgewandelt wurde.
Nydamstil
Der Nydamstil, benannt nach dem berühmten Fund des Nydam-Schiffes in Norddeutschland, bildete sich am Ende der Völkerwanderungszeit im frühen 5. Jahrhundert unter dem starkem Einfluss der provinzialrömischen Metallkunst heraus.
Prägend für den Nydamstil sind die mit floralem und geometrischem Dekor verzierten Flächen, die mit Ranken, Palmetten und Mäandern gestaltet waren, wobei sich an den Rändern in der Regel Tierfiguren befanden.
Tierstil I
Der Tierstil I entstand vermutlich Ende des 5. Jhdt. im westlichen Skandinavien durch Einflüsse keltischer und römischer Kunst sowie durch Motive der asiatischen Steppenvölker und breitete sich von dort rasch nach Mitteleuropa, besonders nach England, dem Rheinland und nach Süddeutschland aus.
Die Tierfiguren sind hierbei naturalistisch dargestellt und klar separiert. Häufig finden sich auf den Darstellungen Vierfüßler und Seetiere in kauernder Haltung an den Rändern der verzierten Objekte.
Im Gegensatz zum Nydam-Stil finden sich diese Tiere jedoch nun als dominierende Elemente auf den Flächen wieder und werden durch Umrandungen zusätzlich hervorgehoben.
Im Süden, besonders bei den in Oberitalien ansässigen Langobarden, werden die Tierkörper hingegen mit mehreren parallelen Bändern dargestellt, oder es wurden verschlungene Knotenmuster in Flechtbandornamentik verwendet.
Im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts, der sogenannten Vendelzeit, wurde der Tierstil I in Skandinavien vom Tierstil II abgelöst.
Tierstil II
Der Tierstil II datiert von Ende des 6. bis ca. Mitte des 8. Jh. n. Chr. und stellt gewissermaßen eine Verschmelzung des Tierstils I aus dem Norden mit der Flechtbandornamentik aus dem Süden dar.
Die starken Ähnlichkeiten der Bildmotive und die rasche Ausbreitung des Tierstils II von Skandinavien nach England und über Deutschland bis nach Italien sprechen für einen regen Kontakt vermutlich wandernder Handwerker und die gegenseitige Beeinflussung der Kulturen jener Zeit.
Unterschieden wird im Tierstil II zwischen der reinen Tierornamentik, bei welcher die Tiere den Vordergrund der Abbildung dominieren und der Körper deutlich mit Kopf, Leib und Füßen dargestellt wird, und den Flechtbandmotiven, bei denen nur die Köpfe an ein Knotenwerk angesetzt sind und dem Flechtbandmuster völlig untergeordnet wurden.
Die Tiere sind hierbei stark abstrahiert und kaum noch als solche zu erkennen, wobei die einzelnen Tiere komplex ineinander verschlungen und verflochten sind.
Tierstil III
Der Tierstil III ist prägend für die Zeit von 550 - 800 n.Chr. und wird nach seinem bei Uppsala in Schweden gelegenen Fundort Vendel auch als Vendel-Stil bezeichnet. Er findet sich hauptsächlich auf Fibeln und Metallbeschlägen wieder.
Im Tierstil III wurden die ursprünglichen Tierformen durch angelsächsische Einflüsse mit Rankenwerken ergänzt und in kurvenreich ineinander verschlungene Muster aufgelöst.
Der Vendel-Stil stellt das Endprodukt einer jahrhundertealten germanischen Kunstform dar. Aus ihm entwickelte sich Anfang des 9. Jahrhunderts schließlich der wikinger-zeitlichen Greiftierstil.
Die Tierstile der Wikinger-Zeit
Als sich in Skandinavien nach der Vendelzeit ab 800 n. Chr. die Wikingerzeit herausbildete, entwickelten sich in Nordeuropa mehrere eigenständige Stilrichtungen:
Oseberg / Broastil - ca. 750 bis 840
Berdalstil - ca. 810 bis 840
Borrestil - ca. 835 bis 970
Jellingstil - ca. 880 bis 1000
Mammenstil - ca. 950 bis 1060
Ringerikstil ca. 980 bis 1080
Urnesstil - ca. 1035 bis 1150
Oseberg- / Broalstil - ca. 750 bis 840
Der Oseberg-Stil, der auch als 1. Greiftierstil bekannt ist, bildete sich vom 8. bis 9. Jahrhundert heraus und stellt den ersten, eigenen wikinger-zeitlichen Kunststil dar.
Er findet sich an Gebrauchsgegenständen aus Holz und Metall sowie an Schmuckstücken aus der Wikinger-Zeit
Berühmt ist hier zum Beispiel das Frauengrab in Oseberg im norwegischen Vestfold, wo sich kleinwüchsige Tiere zu flächendeckenden Mustern zusammengestellt finden.
Der Oseberg-Stil besteht hauptsächlich aus stilisierten Tierdarstellungen, wie sie aus dem vorhergehenden Tierstil III bekannt sind, die jedoch durch das Motiv des Greiftiers ergänzt werden. Die Tierfiguren sind hier meist zu langen, bandförmigen, ineinander verschlungenen Figuren auseinandergezogen.
Mit dem im Oseberg-Stil erstmalig auftretenden Greiftier entstand eine Figur, deren Körperpartien man jederzeit so anordnen konnte, dass sie alle erdenklichen Formen harmonisch auszufüllen vermochte.
Berdalstil - ca. 810 bis 840
Gleichzeitig mit dem Oseberg-Stil entstand der Berdal-Stil, benannt nach dem gleichnamigen Hauptfundort in Westnorwegen, der zwischen 800 bis 850 besonders in Jütland und Norwegen verbreitet war. Der Berdal-Stil zeichnet sich durch die Darstellungen von Tieren mit überproportionalen Köpfen, Glotzaugen und segmentierten Körpern aus. Hierbei wurde das Greiftier meist halb plastisch und von vorne dargestellt wird, wobei Vorder- und Hinterleib sowie Tatzen oder Klauen stark betont wurden und letztere häufig die Rahmenteile oder andere Tiere der Darstellung umfassen.
Borrestil - ca. 835 bis 970
Der Borre-Stil nach dem Grabfund von Borre in Vestfold, Norwegen benannt, der vom 9. bis 10. Jahrhundert datiert, stellt die zweite Phase des Greiftierstils dar und war insbesondere im östlichen Skandinavien verbreitet. Der Borre-Stil zeichnet sich durch spiegelsymmetrische Motive, besonders durch Kreis und Quadrat aus, was in der Flechtbandornamentik sehr gut zum Ausdruck kommt. Charakteristisch sind hier Ringketten und Brezelknoten, wobei Fabeltiere häufig mit geometrischen Knotenwerken verbunden sind. Der Borre-Stil wurde Ende des 10. Jahrhunderts vom Jelling-Stil abgelöst.
Jellingstil - ca. 880 bis 1000
Der Jelling-Stil entstand in der zweiten Hälfte des 10. Jh. am dänischen Königshof in Jelling in Jütland. Seine Charakteristik sind Band- und S-förmige Tierdarstellungen.
Der Jellinge-Stil findet sich an hölzernen, metallenen und steinernen Gebrauchsgegenständen, Schmuckstücken und Runenkreuzen der Wikinger-Zeit. Der Jelling-Stil entstand durch den in der Wikinger-Zeit verstärkten Kontakt der Skandinavier mit der angelsächsischen Welt, wo schlanke, langgestreckte Tierfiguren in der Kunst verwendet wurden. Durch diese Einflüsse wurde nun das in den wikinger-zeitlichen Kunststilen vorherrschende Greiftier als wichtigstes Motiv abgelöst und durch im Profil dargestellte bandförmige Tierfiguren ersetzt, die besonders schmal und langgestreckt dargestellt wurden, und die zudem mit Schenkelspiralen und gewundene Zöpfen im Nacken versehen waren.
Mammenstil - ca. 950 bis 1060
Der Mammenstil datiert in das frühe 11. Jahrhundert und ist berühmt durch die Prunk-Axt von Mammen in Dänemark, wobei die gestalterische Innovation die isolierte Darstellung einzelner Motive ausmacht. Der Mammen-Stil findet sich an prunkvollen Gebrauchsgegenständen aus Metall, an Schmuck und Schnitzarbeiten aus Horn ebenso, wie an Bildsteinen der Wikinger-Zeit.
Der Mammen-Stil legt im Gegensatz zu den früheren Tierstilen der Wikinger nicht mehr nur Wert auf Figuren, denn erstmals werden aufgrund der Verschmelzung von Akanthus- und Weinranken-Motiven westeuropäischer Vorbilder im Mammen-Stil auch Pflanzenmuster in der Kunst der Wikinger verwendet.
Der Mammen-Stil wird häufig auch als vornehmer Kunststil angesehen, da er in der Regel nicht auf der Masseneerzeugnissen auftritt, die es in der Wikinger-Zeit auch schon gab, sondern sich überwiegend auf kostbarem Einzelstücken wiederfindet.
Der Ringerikstil ca. 980 bis 1080
Der Ringerike-Stil vom 10. bis 11. Jahrhundert war besonders in Dänemark verbreitet und wird auch als Runenstein-Stil bezeichnet, da er hier oft Verwendung fand. Er findet sich aber auch an metallenen und hölzernen Schnitzarbeiten, Schmuckstücken und Waffen. Benannt ist der Ringerike-Stil nach der norwegischen Landschaft Ringerike, wo sich viele Runensteine in dieser Stilart finden.
Der Ringerike-Stil ist eine Weiterentwicklung des Mammen-Stils und basiert auf Einflüssen der ottonischen und angelsächsischen Buchmalerei, wobei die Betonung der floralen Rankenmuster noch mehr an Gewicht gegenüber dem Hauptmotiv gewinnt. Da die angelsächsische Buchmalerei traditionell ebenfalls Rankenmuster verwendete, ließ sie sich recht einfach mit dem Ringerike-Stil kombinieren.
Die Entstehung des Ringerike-Stils fällt mit der Christianisierung Skandinaviens und Islands zusammen, weshalb zu der Ausbreitung dieser Stilrichtung vermutlich die sich etablierende christlichen Kirche mit beigetragen hatte.
Der Urnesstil - ca. 1035 bis 1150
Der Urnes-Stil ist die letzte nordische Stilphase und war vom 11. bis 12. Jahrhundert verbreitet. Der Name stammt von einer wikinger-zeitlichen Stabkirche im norwegischen Urnes, bei der stilisierte, ineinander verschlungene, feingliedrige Vierbeiner, Schlangen und bandförmige Tiere in das Holz geschnitzt sind. Hier tritt auch zum ersten Mal die Darstellung des geflügelten Drachen in Skandinavien auf, vermutlich nach angelsächsischen Vorbildern. Typisch für den Urnes-Stil sind ein kräftig gezeichneter Korpus mit schlank auslaufenden Köpfen und Füßen, umschlungen von mehreren ineinander greifenden Linien und Schlaufen.
Literaturhinweise
Hans Hollaender: Kunst des fruehen Mittelalters, Pawlak, Herrsching 1981, ISBN 3-88199-040-2
Torsten Capelle: Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-02509-1
Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere - Menschen - Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-86309-8 (zur zeitlichen Einordnung hölzerner Funde und Dauer einzelner Kunststile)
Bernhard Salin: Die altgermanische Thierornamentik. Neue Auflage 1981. Fourier Verlag GmbH, Wiesbaden, Reprint d. Orig.-Ausg. 1935, ISBN 3-921695-60-0 (Darstellung der Entwicklung der germanischen Tierornamentik und Einteilung in die Stile I, II und III)
Haakon Shetelig: Vestfoldskolen. Osebergfundet III. Kristiania 1920 (wissenschaftliche Bearbeitung der Osebergfunde)
A. G. Smith: Viking Designs. Dover Publications Inc., Mineola 1999, ISBN 0-486-40469-2 (zahlreiche ungeordnete Zeichnungen verschiedener wikingerzeitlicher Stile
Verfasst von Peer Carstens, Dippoldiswalde 2010
Bildnachweis: Wikipedia